Wer kennt das Dilemma? Du hast einen riesengroßen Traum, eine Vision, eine Art Berufung, die Du auf Deinem Leben spürst. Aber während Du versuchst Deinen Traum zu leben, wird er zu deinem schlimmsten Albtraum. Du erlebst nicht nur Widerstand, sondern Anfeindung, Ablehnung, Abgrund. Und während Du Deine Anstrengungen und Bemühungen für Deinen Traum vervielfachst, werden Deine Widersacher stärker. Es ist fast so, als würden sie zu Vampiren, die sich von Deiner Leidenschaft ernähren. Und irgendwann einmal: unbemerkt, schleichend, finster, schauerlich und oft sehr spät merkst Du plötzlich, dass Du keine besondere Energie, kein anhaltendes Durchhaltevermögen, keine übernatürlichen Ressourcen und auch keinen bemerkenswerten Charakter besitzt, um diesen großen (vielleicht sogar göttlichen) Traum zu verwirklichen. Und Du entdeckt vielleicht noch etwas wesentlich Niederschmetternderes: Du hast Dich in der Rage um Deine Vision oder Deinen Traum ebenfalls zu einem Vampir entwickelt. Ich kenne das – ich bin auch das geworden, was ich bitterlich bekämpfen wollte. Ich entdeckte, dass mein Traum viel größer war als mein Charakter. Ich bin dankbar, dass ich an der Stelle nicht alleine bin.
- Ich denke an Abraham. Er hatte von Gott den Traum, ein großes, gesegnetes Volk zu werden. Aber irgendwie lief das nicht so, wie er das sich mit Sarah vorgestellt hatte. Er ging als Kinderloser in Rente. Dann kam ihm doch noch ein Geistesblitz, Gottes Traum etwas „nachzuhelfen“. Sein Schäferstündchen mit Hagar ist bekannt. Ismael kommt zur Welt… Der Traum war größer als seine natürlichen Ressourcen. Der Rest… ist Geschichte.
- Ich denke an Moses. Er hatte schon sehr früh den Traum für die Befreiung seines Volkes. Er nahm den Traum in seine Hand. Hatte er dafür das Verständnis seiner Familie? Seiner Stiefeltern? Oder gar das Verständnis seiner unterdrückten Brüder? Nope! Dann wurde er selber zum „Vampir“ und „erschlug und verscharrte den Ägypter“. Der Traum war größer als sein Charakter. Der Rest… ist Geschichte.
- Ich denke an Joseph. Er plappert unaufhörlich und infantil über seinen Traum. Es war ein Traum von Herrschaft und Ehre. Was brachte es ihm ein? Spott, Ablehnung, Sklaverei. Der Traum war größer als seine innere Reife und äußere Position. Der Rest… ist Geschichte.
- Ich denke an Petrus, dem „Felsen der Kirche“ an dem besagten Morgen, wo der Hahn den Kreuzigungstag einläutete…
- Ich denke an Paulus, den Eiferer für Gottes Werk auf dem Weg nach Damaskus…
- Und ich denke an meinen Herrn, der den großen Traum Gottes leben sollte – die Rettung des Volkes Gottes – hängend und verblutend am Kreuz. Sein Traum vom Reich Gottes war größer als sich ihn jede menschliche Regierung leisten konnte. Der Rest… ist Geschichte.
Wenn mein Traum auch ein göttlicher ist – und ich meine damit nicht etwas überhebliches, überfrommes, nicht etwas, womit ich alle Gegenargumente und Gegenstimmen von vornherein erschlagen kann – wenn es von Gott gewollt und von Gott gelenkt sein soll…, dann muss ICH sterben. Ich muss verstehen, dass alles, was Gott tut, immer meinen Charakter, meine Ressourcen und Möglichkeiten bei weitem übersteigen wird. Gott teilt Seine Ehre mit keinem Anderen, auch nicht mit seinen Dienern. Ja, Er ehrt Seine Diener, Er erhöht und krönt sie zu gegebener Zeit. Er gibt ihnen Gunst und Anerkennung… zu Seiner Zeit, die nicht selten auch erst in der Ewigkeit sein kann. Diese Erkenntnis und dieses Vertrauen gibt mir den richtigen Blick auf meinen Traum, ordnet mich ein in die richtige Position, zeigt mir meine Grenzen und Möglichkeiten. Und während Gott Seine Geschichte schreibt, prägt Er auch gleichzeitig neu meinen Charakter, erweitert meine Grenzen und Möglichkeiten, lässt mich an Seinen unendlichen Ressourcen teilhaben. Das ist ein echtes Abenteuer, plötzlich zu entdecken, Teil Seines Traums zu sein.
Herzlichen Dank für diesen kurzen, einfühlsamen Artikel. Der Gedanke, dass die eigenen Träume darauf hinweisen selbst Teil des „Traumes Gottes“ zu sein gefällt mir.
Es bleibt die Lebensaufgabe schlechthin in der Verwirklichung dieses Gedanken eine Balance zu finden. Um möglichst zu lernen, weniger auf beiden Seiten in der Nachfolge Jesu zu hinken. Zwischen Neurosen und Narzismen verläuft der Heilungs- und Heiligungsweg der Nachfolge Jesu. Folgende (alte) Geschichte verdeutlicht mir welch einfache Intervention im Alltag helfen kann, diese Balance einzuüben:
Eine jüdische Geschichte erzählt von einem Jungen, der am Sabbat nach seinem 13. Geburtstag vor den Rabbi tritt. Der Rabbi beschriftet zwei Zettel, rollt sie zusammen und steckt sie dem Jungen in die linke und in die rechte Hosentasche. „Was soll das bedeuten?“, fragt der Junge erstaunt. Da antwortet der Rabbi: „Du wirst in deinem Leben gute Tage erleben – und schlechte.
Wenn du einen guten Tag hast, wenn dir etwas gelingt, wenn du dich darüber freust, wenn du stolz wirst, vielleicht sogar übermütig – dann greif in die linke Tasche!“. Der Junge greift in die linke Tasche, rollt den ersten Zettel auf und liest: „Aus Erde bin ich gemacht. Und zur Erde werde ich wieder zurückkehren“. Der Junge schaut den Rabbi betroffen an.
Und der Rabbi fährt fort: „Wenn du einen schlechten Tag hast, wenn dir etwas misslingt, wenn du darüber traurig bist, wenn du schuldig wirst und an dir selbst verzweifelst – dann greif in die rechte Tasche!“. Der Junge greift in die rechte Tasche, rollt den zweiten Zettel auf und liest: „Auch für mich hat Gott Himmel und Erde gemacht“. Der Junge schaut den Rabbi überrascht an.
Da sagt der Rabbi: „Diese beiden Sprüche genügen, um in dieser Welt zu bestehen. Der eine Spruch soll dich daran erinnern, dass dein Leben begrenzt ist – das wird dich demütig und bescheiden machen. Der andere Spruch soll dich daran erinnern, dass Gott dich über die Maßen liebt – das wird dich froh und dankbar machen“.